„Plastik & Meer. Das Ökossystem Meer und seine Gefährdung durch die Produktion, Nutzung und Entsorgung von Kunststoffen.“
Vom 22.-27.11.2021 fand dieses Bildungsurlaubsseminar der Evangelischen Erwachsenenbildung (EEB) im Haus Justitia auf Norderney statt. Geleitet wurde das Seminar von den Referenten Dr. Peter Strasser und dem Meeresbiologen Stephan Moldzio – ein über viele Jahre und gemeinsame Seminare eingespieltes Team. Thema waren Kunststoffe im Meer und ihre Auswirkungen auf Meeresbewohner und letztlich auch auf uns Menschen.
Wasseranalyse des Hafenbeckens
Neben dem Schwerpunkt Plastik interessierten uns aber auch andere Formen von Müll und Verschmutzung durch menschliche Aktivitäten auf die Meeresumwelt. So nahmen wir gleich nach der Ankunft mit der Fähre auf Norderney erst einmal im Hafenbecken eine Wasserprobe– für eine Labor-Analyse mittels Massenspektroskopie ICP-OES. Die drei Reagenzröhrchen wurden umgehend in einem Briefumschlag gleich am Hafen eingeworfen und an das Labor gesendet.
Das Analyseergebnis lag dann gegen Ende des Seminars vor und ergab eine bemerkenswerte und in dieser Intensität unerwartete Anreicherung von Schwermetallen:
Gegenüber den natürlichen Konzentrationen von Spurenelementen in Meerwasser, die in Anhängigkeit vom Salzgehalt im Wesentlichen konstant sind, war Aluminium um das 735-fache erhöht, Eisen um das 110-fache, Kupfer 17-fach, Zink 14-fach, Cadmium und Nickel 9-fach und Mangan 3-fach. Immerhin waren kein Blei und Quecksilber nachweisbar.
Man mag mutmaßen aus welchen Gegenständen, Schiffen, Metallkonstruktionen, ins Hafenbecken geworfenen Batterien, diese erhöhten Werte herrühren. Sicher ist, dass diese gravierende Anreicherung von Schwermetallen im Hafenbecken menschlichen Ursprungs ist.
Zu Beginn befassten wir uns mit dem Meer als Lebensraum am Beispiel der Nordsee.
-
Welche Rolle spielt das Meer für die globalen Stoffkreisläufe und das Klima?
-
Welche Bedeutung hat für uns Menschen, welche sogenannten Ökosystemdienstleistungen gibt es uns für unser Leben?
Natürlich standen auch Aktivitäten im Freien – eine Wanderung, eine Radtour oder eine Foto-Exkursion auf dem Programm.
Norderney ist die zweitgrößte der ostfriesischen Inseln im Nationalpark Wattenmeer, mit einer interessanten Geschichte, vielen Sehenswürdigkeiten und Ausflugsmöglichkeiten.
Die gesamte Insel mit Ausnahme der Siedlungs- und Infrastrukturgebiete ist Teil des Nationalparks und geschützt.
Die Osthälfte ist unbewohnt – eine wunderschöne, wilde Naturlandschaft – Sand- und Schlickwatt, Priele, Salzwiesen, Weiß- und Graudünen wechseln einander ab. Lebensraum für eine faszinierende Tier- und Pflanzenwelt, darunter viele bedrohte Arten.
Durch Ebbe und Flut, Sonne, Regen, Wind ist die Landschaft stets im Wandel begriffen. Die Seehundbank (es ist eine gemischte Kolonie von Seehunden und Kegelrobben) und auch das „Wrack“ liegen übrigens am äußersten Ostende der Insel. Dieses ist nur mit einer Wanderung von 6km zu erreichen, es gibt keine befestigten Wege, sogar Radfahren ist hier verboten.
Das 140 Hektar große Vogelbrutgebiet „Südstrandpolder“ darf nicht betreten werden, die vielfältige Vogelwelt kann aber von einem Beobachtungshaus des NABU beobachtet werden.
Im Nationalparkhaus „Watt Welten“ besuchten wir eine sehr anschauliche Sonderausstellung zum Thema Müll und Meer mit interessanten Informationen rund um das Thema Meeresmüll.
In den ersten beiden Tagen beschäftigten wir uns genauer mit verschiedenen Fragen, wie z.B.:
-
Welche Kunststoffe gibt es?
-
Wofür werden sie im täglichen Leben und in der Wirtschaft verwendet, aus welchen Ressourcen und mit welchen Verfahren werden sie hergestellt?
-
Wie hoch ist unser Verbrauch und die große Frage:
-
Was passiert mit den Kunststoffen NACH ihrer Verwendung?
-
Was macht man am besten mit „Müll“, der nicht verrottet?
„Müll“ gibt es in der Natur nicht, er ist eine Erfindung der „modernen Industriegesellschaft“. In Deponien vergraben, in Müllverbrennungsanlagen in toxische Feinstäube verwandeln, oder einfach ins Ausland exportieren? Im besten Fall einen Teil recyclen und wiederverwerten. Im schlechtesten Fall gelangt der Müll in die Umwelt, in die Flüsse, oder über verschiedene Eintragungswege ins Meer – mit verschiedensten Auswirkungen auf die Lebewesen. Dies gab uns schonmal einen guten Überblick.
Müllmonitoring nach dem OSPAR-Protokoll
Im Praxisteil führten wir ein Müllmonitoring nach dem OSPAR-Protokoll „Guideline for Monitoring Marine Litter on the Beaches in the OSPAR Maritime Area“ entlang von zwei zufällig gewählten 100m-Transekten beim Fischerhafen an der Südküste durch.
Mit (kompostierbaren) Tüten und hoffentlich einigermaßen wasserdichtem Schuhwerk machten sich die Müllsammler und Wattstecher bei frischem Wetter an die Arbeit. Nach 1 Stunde hatten wir was wir wollten: nämlich jede Menge Müll der verschiedensten Sorten.
Müll:
Kein Müll:
Untersuchung des gesammelten Mülls
Zurück im Seminarraum wurde der gesammelte Müll inspiziert.
Zunächst wurde er in Schalen in die verschiedenen Stoffkategorien nach dem OSPAR-Protokoll sortiert, wie z.B. Plastikreste, Sanitär-Müll, Fischereimüll, etc.
Die Müll-Objekte wurden dann gezählt und entsprechend in das Protokoll eingetragen.
Das Protokoll bzw. die Daten des Müllmonitorings können eingesendet werden und gehen dann in eine Datenbank über das Müllvorkommen an der Nordsee ein.
Für uns war es erstmal erstaunlich, was für verschiedene „Sorten“ von Müll den Weg ins Meer bzw. an die Küste finden. Und auch die große Anzahl von Objekten an nur zwei 100m Strandabschnitten, gesammelt in jeweils 1 h…
Probenahme Schlick- & Sandwatt
An derselben Stelle wo wir die Müllsammlung durchgeführt hatten, zogen wir mit einem Stechrohr auch jeweils eine Probe aus dem Schlickwatt und dem Sandwatt, um später die Sandlückenfauna unter dem Mikroskop zu untersuchen.
Nach einiger Arbeit mit Steckrohr und Sieb hatten wir schließlich mehrere Schraubgläser mit Schlick- und Sandproben von verschiedenen Stellen.
Untersuchung Sandlückenfauna
Zurück im Seminarraum kümmerten wir uns zunächst um die Wattproben und bereiten diese für die Untersuchung unter dem Stereomikroskop vor.
Die dunkelgrau gefärbte, anoxische Schlickprobe war relativ unspektakulär, da ohne Sauerstoff keine Lebewesen außer Bakterien überleben können und größere, grabende Organismen, die ihren Sauerstoff von der Oberfläche bekommen, wie der Wattwurm oder verschiedene Muscheln waren nicht in unseren Proben.
Die Sandprobe wurde nach verschiedenen Fraktionen ausgesiebt und hier konnten wir zahlreiche Kleinlebewesen beobachten – die sogenannte Sandlückenfauna!
Stephan zeigte die Lebewesen – u.a. Flohkrebse, Muscheln, Schnecken, Fadenwürmer – live -über eine am Stereomikroskop angeschlossene CCD-Kamera und Beamer für alle Teilnehmer.
In der zugehörigen Präsentation erfuhr man so Einiges über dieses interessante Leben zwischen den Sandkörnern: für die verschiedenen, angepassten Organismengruppen mit oft langgestreckter Körperform ist etwa die Korngröße des Sandes einer der wichtigsten Parameter ihrer Umwelt.
Es gab auch ein kleines Beobachtungsaquarium mit etwas größeren Lebewesen der Gezeitenzone (Schnecken, Miesmuscheln, Krabbe, Würmer), welche ebenfalls unter die Lupe genommen werden konnten.
Stephan hatte diese morgens an der Buhne (ein Steinwall zum Küstenschutz im Meer) gesammelt. Am Abend wurden sie wieder zurück ins Meer gesetzt.
Lösungsmöglichkeiten für das Müllproblem?
In den letzten beiden Seminartagen rückten dann Lösungsmöglichkeiten des Müllproblems in den Fokus:
-
Gibt es alternative Materialien, welche Möglichkeiten und Grenzen hat die Kreislaufwirtschaft?
-
Kann durch nachhaltiges Produktdesign Kunststoffmüll vermieden oder zumindest drastisch reduziert werden?
-
Wie kann dem Müll-Problem begegnet werden – durch Anreize für Privatpersonen und Unternehmen, oder etwa durch staatliche Steuerung?
Nach einer Präsentation zu der Problematik konnten die Seminarteilnehmer wählen zwischen „Lesestube“ und „Exkursion“.
Bei der Lesestube konnte sich jeder selber mithilfe verschiedener Literatur weiter mit dem Thema „Müll“ beschäftigen.
Exkursion Nordküste
Bei der Foto-Exkursion fuhren wir mit den ausgeliehenen Fahrrädern zur Weißen Düne an der Nordküste um verschiedene Meeresvögel mit Tele-Objektiv zu fotografieren.
Und um sich einfach nochmal den frischen Novemberwind um die Nase wehen zu lassen…
Das Meer, den Strand und die dynamische Dünenlandschaft zu geniessen.
Am letzten Tag schlossen wir das Seminar mit einer Schlussdiskussion und einer Feedback-Runde ab, bevor es mit Bus, Fähre und Bahn bzw. Auto zurück nach Hause ging.